Aqua Tofana - der Mord im Theater
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Der Zuschauerraum des ›Frankfurter Schauspielhauses‹ war bis auf den letzten Platz gefüllt.
Man gab Goethes ›Faust‹.
Die Kerker-Szene näherte sich dem Höhepunkt und das Spiel damit dem Ende der Tragödie.
Die Gretchen-Darstellerin Eliza Burger war eine bemerkenswerte Schauspielerin und die Vorstellung nicht zuletzt deshalb ausverkauft. Gleiches Interesse brachte das Publikum auch dem Faust-Darsteller entgegen, der sie soeben beschwor:
»Besinne dich! Nur einen Schritt, so bist du frei!«
Mephisto drohte ungeduldig, Faust zu verlassen, sofern dieser ihm nicht endlich folge.
Dessen Blick aber war auf Gretchen gerichtet, die ihn wie einen Geist anstarrte. In ihren Augen lag blankes Entsetzen, als sie in höchster Not aufschrie:
»Dein bin ich Vater … rette mich …
ihr Engel … ihr heiligen Scharen ...
lagert euch umher ...
mich zu bewahren.«
Röchelnd presste sie mit letzter Kraft aus sich heraus:
»Heinrich … mir graut’s … vor dir!«
Manchem Zuschauer lief bei diesem Szenario ein Schauer über den Rücken. Im grauen Büßerhemd, das Haar aufgelöst, sank Gretchen aufs Strohlager. Es schien, als wolle Faust zu ihr hineilen, aber Mephisto zerrte ihn mit sich.
Langsam senkte sich der Vorhang, doch vergeblich wartete das textkundige Publikum auf den letzten, verzweifelten Ruf Gretchens:
›Heinrich … Heinrich …‹
Nach einem Augenblick atemloser Stille brandete Beifall auf.
Die Schauspieler erschienen jedoch lange nicht vor dem Vorhang, um den Applaus dankend entgegenzunehmen.
Ungeduldig skandierte das Publikum schließlich: »Gret-chen, Gret-chen, Gret-chen ...«
Endlich ließen sich Mephisto und Faust mit Frau Marthe sehen. Sie verbeugten sich mit einstudiertem Lächeln.
Das Publikum applaudierte, wurde unruhig und skandierte erneut: »Gret-chen, Gret-chen ...«
»Wir müssen's ihnen sagen«, zischte der Faust-Darsteller Gert Becker, während er sich automatisch verbeugte. Sein Kollege Rolf Tender bejahte dies und schickte zugleich ein arrogantes Mephisto-Lächeln in die tobende Menge.
Entschlossen trat Becker zwei Schritte vor und hob die Hand. Der Tumult verebbte. Seine Stimme klang angestrengt, als er informierte: »Verehrtes Publikum! Diese Begeisterung ehrt Eliza Burger sehr. Leider kann sie den Beifall nicht persönlich entgegennehmen. Sie erlitt einen Schwächeanfall.«
Ausrufe des Bedauerns wurden laut, Blumen für die Schauspielerin auf die Bühne gereicht.
Eliza Burger würde sie nie erhalten – sie war tot.
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Die Zeiger der Uhr standen auf Mitternacht.
Erregt schritt der Direktor des ›Frankfurter Schauspielhauses‹ im Büro auf und ab. Auf seiner Stirn standen Schweißperlen. Er sprach mit sich selbst. Das tat er stets, wenn ihn etwas überforderte. Und was am heutigen Abend geschehen war, reichte weit über seine Vorstellungskraft hinaus.
»So ein Unglück«, murmelte er zum wiederholten Mal. »Eine Katastrophe. Nicht zu fassen.«
Schließlich sank er doch in den Schreibtischsessel und starrte auf die leere Tischplatte.
Wie ein Film liefen die Ereignisse des Abends vor seinem inneren Auge ab ...
Gegen zweiundzwanzig Uhr war er – wie üblich – zur letzten Szene hinter der Bühne erschienen. Dort standen zwei Techniker und die Nebendarsteller. Wenige Meter vor ihnen gebärdete sich die Burger, als werde sie wirklich von Furien gejagt.
Auch ihn hatte ein Schauer erfasst, als sie die Himmelsgeister anrief, als sie ganz zuletzt … nein, da spielte ihm die Textkenntnis einen Streich, wie man ihm versichert hatte. Im Unterschied zu den anderen glaubte er nämlich, den Nachruf ›Heinrich! Heinrich!‹ gehört zu haben. Tatsächlich aber war dies nicht geschehen.
Jedenfalls – nach Beckers und Tenders Abgang und dem Fallen des Vorhangs hätte auch die Burger auftauchen müssen, aber sie kam nicht. Becker war deshalb noch einmal auf die Bühne zurückgekehrt und bald darauf mit entsetztem Gesicht erschienen, die offenbar ohnmächtige Eliza auf den Armen.
›Ich weiß nicht, was passiert ist‹, hatte er gerufen und die schlaffe Last in die helfend ausgestreckten Arme der beiden Techniker gleiten lassen. Dann war er mit Tender und den anderen Darstellern vor den Vorhang geeilt, um den Applaus des Publikums entgegenzunehmen.
So war es nun mal im Theater – die Show musste laufen, selbst wenn die Welt einstürzte, was ja der Wahrheit in diesem Fall ziemlich nahe gekommen war, wie sich bald herausstellte.
Während Becker das Publikum informierte, hatten die Techniker die Schauspielerin in den Aufenthaltsraum getragen und er hatte per Handy seinen Hausarzt angerufen, der in der Nähe wohnte. Der war auch in kürzester Zeit erschienen und hatte festgestellt, was allen inzwischen klar geworden war – Eliza lebte nicht mehr.
›Die Polizei muss her‹ hatte der Arzt gesagt und jemand – ja, wer eigentlich? – hatte im Präsidium angerufen.
Das Publikum ahnte von den Vorgängen hinter der Bühne nichts und verließ das Theater unangefochten. Wer hätte es daran hindern sollen? Nach Meinung der Polizei war dies sein Fehler und hatte dem potenziellen Mörder zu einer leichten Flucht verholfen. Die Beamten befanden sich auch jetzt noch im Gebäude ...
An dieser Stelle fiel dem Direktor ein, dass es ein ›morgen‹ und ›übermorgen‹ für das Schauspielhaus gab, an dem ›Faust‹ aufgeführt werden musste – und zwar in veränderter Gretchenbesetzung. Das bedurfte dringend eines Arrangements und war etwas, woran er sich festhalten konnte, etwas, worauf er sich verstand.
Trotz später Stunde griff er zum Telefon ...
Am anderen Ende der Leitung meldete sich niemand.
»Auch das noch!«, stöhnte der Direktor. Aber er konnte der Larivière schließlich nicht vorschreiben, wo sie sich nachts aufzuhalten hatte. Dabei war sie ihm zwei Stunden zuvor quasi in die Arme gelaufen.
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Der Anruf aus der Zentrale des Präsidiums erreichte Kommissar Jens Rust, als er sich gerade die Bettdecke über die Ohren ziehen wollte. »Tod auf offener Bühne?«, rief er überrascht aus. »Das ist ja was ganz Neues. Aber warum gleich die Mordkommission? Jagt doch erst mal Hippe hin.«
Hippe war der Gerichtsmediziner.
»Der ist schon unterwegs«, erklärte die Kollegin am anderen Ende der Leitung. »Und Ingo Petermann auch.«
Petermann war Rusts engster Mitarbeiter.
Seufzend fuhr der Kommissar in alles, was sich ein ordentlicher Bürger überzog, wenn er unter die Leute ging, und machte sich auf den Weg. Das Auto lohnte nicht, zu Fuß waren es nur zehn Minuten bis zum Schauspielhaus.
Petermann erwartete ihn gähnend am Hintereingang des Gebäudes. »Wird nicht lange dauern«, vermutete er. »Sie haben die Tote eben abgeholt. Ist gleichsam aufs Stichwort gestorben. So was nennt man einen brillanten Abgang.«
»Lass die dummen Scherze, Ingo«, knurrte Rust. »Du landest wegen so was noch mal gehörig in den Nesseln.«
Petermann winkte gelassen ab und ging Rust voraus zu den Garderoben der Schauspieler.
Die Tür zu einem größeren Raum stand offen. Drinnen hockten in Sesseln und auf einer Liege einige Männer und Frauen und unterhielten sich in gedämpftem Ton.
»Schauspieler, Maskenbildnerinnen, Techniker«, erklärte Petermann leise. »Zum Glück gibt’s im ›Faust‹ keine Massenszenen, sonst wär's voller.«
Rust erinnerte sich dunkel, dass da sehr wohl ein ›Osterspaziergang‹ mit Volksgetümmel vorkam und ließ eine entsprechende Bemerkung über Massenandrang los.
»Mensch! Das Problem löst man heute mittels Bildwerfer und Geräuschkulisse«, wurde er von Petermann belehrt. »Wann warst du zuletzt im Theater?«
Die Antwort blieb Rust erspart, denn Hippe tauchte auf. »Und?«, fragte der Kommissar.
»Na ja! Der Direktor hatte schon seinen Hausarzt gerufen. Der stellte den Tod der Schauspielerin fest. Ich konnte das lediglich bestätigen. Mehr weiß ich morgen, wenn ich sie auf dem Tisch hatte«, erklärte der Rechtsmediziner.
»Besteht Hoffnung, dass es ein natürlicher Tod war?«
Hippe zuckte die Schultern. »Jens, du kennst doch das Procedere: Erst vergewissern, danach ad acta legen und Schluss oder eben nicht.« Er zog die Jacke an. »Ich geh' dann mal und hau' mich wieder aufs Ohr.«
Rust und Petermann betraten den Aufenthaltsraum.
Das Gemurmel verstummte. Erwartungsvoll blickten die Anwesenden ihnen entgegen. Rust stellte die Frage aller Fragen: »Wer hat Frau Burger zuletzt lebend gesehen?«
»Wir und ein volles Schauspielhaus«, meldete sich ein junger Mann und zeigte erst auf sich, dann auf einen Kollegen. Er stellte sich als Gert Becker, der andere als Rolf Tender vor.
»Wir standen gemeinsam mit Eliza auf der Bühne, als es passierte«, erklärte Becker sichtlich bedrückt. »Ich spürte schon zu Beginn der vorletzten Szene, dass ihr Spiel anders wurde – hektischer, mühevoller im Ausdruck. Das Publikum hielt es gewiss für beeindruckende Darstellung, aber als Insider erkennt man, was echt und was einstudiert ist. Elizas Beklemmung, das Entsetzen – beides war echt.«
Tender bestätigte die Aussage Beckers mit Kopfnicken. »Es ist sicher nur Zufall, dass sie es noch bis zum Ende der Szene schaffte, jedenfalls so, dass dem Publikum nichts auffiel«, ergänzte er. »Eliza hätte eigentlich nochmals nach Faust rufen müssen, doch zu diesem Zeitpunkt war sie schon tot.«
»Das wussten wir da freilich noch nicht«, präzisierte Becker. »Rolf und ich gingen von der Bühne ab, wie es die Regie vorsah. Der Vorhang senkte sich und Eliza hätte nun ebenfalls hinter den Kulissen erscheinen müssen. Weil sie nicht kam, sah ich nach ihr und fand sie reglos auf dem Stroh liegend, anders als eingeübt: Die Augen offen und starr, der Mund geöffnet.« Beckers Stimme wurde rau. »Da ahnte ich … sie … sie konnte nur … sie war tot.«
»Befand sich außer Ihnen noch jemand auf der Bühne?«, fragte Petermann.
Der Schauspieler schüttelte den Kopf. »Nein! Ich nahm Eliza auf die Arme und trug sie hinter die Kulissen.«
Zwei weitere Männer meldeten sich. »Wir haben sie ihm abgenommen«, bestätigte der eine.
»Gert sagte, sie sei ohnmächtig«, ergänzte der andere. »Wir brachten Eliza in diesen Raum und der Direktor rief den Arzt.«
Rust blickte sich suchend um. »Wo ist denn der Direktor?«
»Der geht wie ein Löwe im Büro auf und ab«, spottete eine der Frauen. »Von dem ist nicht viel zu erwarten.«
»Gibt ja für ihn auch nichts zu sagen«, urteilte eine zweite.
»Frau Burger hatte doch sicher eine eigene Garderobe?«, fragte Rust in die Runde.
»Ja«, meldete sich eine junge Frau. »Ich bin …«, sie korrigierte sich, »ich war für ihre Maske zuständig. Möchten Sie sich im Raum umsehen?«
Der Kommissar nickte und die beiden verließen die anderen.
Petermann bat Tender und Becker, ihn zum Direktor zu begleiten und wandte sich dann an die Leute: »Haben Sie noch eine Weile Geduld. Ich lasse Ihnen mitteilen, wann Sie sich morgen hier einstellen müssen.«
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Die Garderobe der Schauspielerin war nicht groß. Das galt wohl für alle Räume dieser Art. Ein Fenster gab es nicht, nur elektrische Beleuchtung. Die Einrichtung bestand aus einem Toilettentisch, vollgestellt mit Schminktöpfen und jenen Utensilien, die für die Herstellung einer Maske benötigt wurden. Vor diesem Tisch befand sich ein Stuhl, zusätzlich gab es einen Wandspiegel, der vom Boden bis fast zur Decke reichte, und einen Kleiderständer für die Kostüme. Auf einem Beistelltisch standen ein Glas, eine halbvolle Flasche Wasser und ein Strauß roter Rosen, die bereits welkten.
Auf dem Hocker lag eine schwarze Abendhandtasche aus Lackleder. An der Längsseite des Raumes bemerkte Rust einen Wandschrank. Er war leer bis auf ein rotes Abendkleid, einen eleganten Abendmantel in der Farbe der Handtasche und ein Paar hochhackige Schuhe, ebenfalls schwarz.
Die Maskenbildnerin beobachtete den Kommissar stumm von der Tür her. Als er nachdenklich auf die Kleidung starrte, sagte sie: »Eliza hatte nach der Aufführung eine Verabredung. Es ging um einen Vertrag. Genaueres weiß ich nicht.«
Rust erwiderte, er habe schon an etwas Ähnliches wie ein Abendessen gedacht, zog Gummihandschuhe über und öffnete die Handtasche. Behutsam schüttete er den Inhalt neben das Glas und die Wasserflasche: Parfüm, Lippenstift, Puderdose, Geldbörse, Papiertaschentücher, ein Schlüsselbund.
»Fehlt etwas?«, fragte er die junge Frau und zeigte auf die Utensilien.
»Wie soll ich das wissen?«Ihre Antwort klang vorwurfsvoll, dann setzte sie freundlicher hinzu: »Doch falls Sie das in Bezug auf den Raum meinen: Hier fehlt nichts. Das hätte ich bemerkt.«
Sie wollte nach der Vase mit den welkenden Rosen greifen, eine reine Verlegenheitsgeste, aber Rust hielt sie davon ab. »Nichts anrühren!«, warnte er. »Darum muss sich die Spurensicherung kümmern.«
»Um welkende Rosen?« Die Maskenbildnerin schüttelte verständnislos den Kopf. Auf Einfälle kamen diese Kriminalisten!
Sie traten wieder in den Gang hinaus. Rust schloss die Tür ab und sicherte sie mit einem Siegel.
»Bringen Sie mich zum Büro des Direktors«, bat er.
Die junge Frau wies auf eine Tür. »Es liegt gleich am Ende des Ganges«, sagte sie, wandte sich um und ging in den Aufenthaltsraum zurück.
Rust öffnete die angegebene Tür und trat ein.
Falls der Direktor an diesem Abend wirklich ›neben sich‹ gestanden hatte, so war davon inzwischen nichts mehr zu merken. Er sprach sachlich und ruhig mit Petermann.
Rust stellte sich zu den beiden Schauspielern, die an der Wand lehnten, und beschränkte sich vorerst aufs Zuhören.
Wie sich herausstellte, wusste der Direktor kaum etwas über Eliza Burgers Privatleben und nur das Übliche über ihre berufliche Entwicklung: Sie besaß einen Vierjahresvertrag, der nach dieser Spielzeit ausgelaufen wäre. Davor war sie in München in den ›Kammerspielen‹ aufgetreten. In der zu diesem Theater gehörenden Schauspielschule hatte sie auch ihre Ausbildung absolviert. Elizas Mutter war ebenfalls Schauspielerin gewesen, der Vater hatte zumindest im Theater gearbeitet und mehr gab es nicht zu sagen. »Es sei denn, Sie wissen noch etwas«, wandte der Direktor sich an Becker.
Rust blickte fragend. »Gibt es dafür einen Grund?«
»Oh, man glaubt hier, ich sei … mit Eliza … liiert«, antwortete der Schauspieler zögernd. Entschlossener fuhr er fort: »Ich gebe zu, sie gefällt … gefiel mir und manchmal schien es, als könnte aus uns beiden etwas werden. Aber sobald ich deutlicher wurde, zog sie sich zurück. Deshalb blieb unser Verhältnis immer in der Schwebe.«
»Vielleicht gab es schon einen Bewerber«, warf Rust ein.
Er dachte an den welkenden Rosenstrauß in der Garderobe.
Becker schüttelte den Kopf. Er schien zu wissen, worauf der Kommissar hinaus wollte. »Das glaube ich nicht. Blumen als Aufmerksamkeit sind in unserem Beruf nichts Außergewöhnliches. Auch heute erhielt Eliza welche aus dem Publikum. Aus München trafen für sie gelegentlich rote Rosen ein. Die letzten stehen noch in der Garderobe.«
»Kennen Sie den Namen des Absenders?«
Becker hob die Schultern. »Keine Ahnung. Falls jemals ein schriftlicher Gruß dabei war, finden Sie den vielleicht in Elizas Wohnung.«
»Was wissen Sie über die Eltern der Schauspielerin?«
»Nicht viel mehr als bereits gesagt wurde. Die Mutter starb vor einigen Jahren an Krebs.« Becker blickte seinen Kollegen fragend an. »Wie war das gleich mit dem Vater?«
Tender berichtete, der Mann sei nach Amerika gegangen, um dort eine Stelle als Bühnenbildner an irgendeinem Theater anzutreten. »Er beabsichtigte, Frau und Tochter nachzuholen, ließ aber nie wieder etwas von sich hören. So ungefähr hat Eliza es mal erzählt. Sie schloss gerade das Gymnasium ab, als der Vater von der Bildfläche verschwand.«
»Dann ist der Gute wohl eher ans Tellerwaschen als auf die Bühne geraten«, platzte Petermann heraus und kassierte dafür einen missbilligenden Blick von Rust. Diesmal bewirkte die Laxheit des Kollegen jedoch eine gewisse Auflockerung der beklemmenden Situation und entlockte zumindest Tender und dem Direktor ein schiefes Grinsen.
»Das wär’s erst mal«, beendete Rust das Gespräch. »Wir melden uns morgen wieder mit den Kollegen der Spurensicherung. So tragisch der Tod der jungen Frau ist, ich hoffe, er hatte natürliche Ursachen.« Er wandte sich an den Direktor. »Informieren Sie die Herren und Damen im Aufenthaltsraum, dass sie sich morgen ab zehn Uhr vormittags hier zur Verfügung halten. Und bitte, auf der Bühne nichts verändern!«
Verstohlen gähnend machte er Petermann ein Zeichen und die beiden Männer verließen das Büro, in Gedanken schon in ihren Betten.
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Rust erschien am Morgen noch vor Petermann im Polizeipräsidium. Er war Leiter der Ermittlungsgruppe II des Morddezernats. Im Gegensatz zu seinem Kollegen, der ausgeruht und in bester Laune kurz nach ihm eintraf, hatte er unruhig geschlafen und Blödsinn geträumt, ein Zeichen, dass ihm tausend Dinge im Kopf umgingen, die nicht zusammenpassen wollten. Ein vages Gefühl sagte Rust, dass sich ›Tod im Theater‹ – entgegen aller Hoffnung – zu ›Mord im Theater‹ entwickeln werde und er sollte recht behalten.
Gegen neun Uhr rief Hippe an. Die beiden Kommissare fuhren zu ihm ins ›Kühlhaus‹. So wurde das Gebäude der Rechtsmedizin sarkastisch im Kollegenkreis genannt.
Petermann fragte lakonisch: »Fall zu den Akten?«
»Leider nein«, erwiderte der Doktor. »Ihr bekommt Arbeit. Die junge Frau wurde vergiftet. Wollt ihr's wissenschaftlich exakt oder belletristisch ausführlich haben?«
»Wenn wir schon ermitteln müssen, dann mach du es wenigstens kurz«, verlangte Rust. »Was daraus folgt, zieht sich von ganz allein in die Länge.«
Hippe nickte zustimmend. »Es war eine Art ›Aqua Tofana‹.«
»Und?«, fragte Petermann, weil der Doktor offenbar nichts hinzuzufügen gedachte.
»Na, kürzer geht's nicht.« Hippe grinste hinterhältig.
Rust winkte resigniert ab. »Also mach's schon belletristisch, du Korinthenkacker! Was ist das für ein ›Aqua Torf‹ oder so?«
Der Doktor blieb sarkastisch. »Was immer man im Allgemeinen gegen Mord ins Feld führen kann – dieser Täter tötet mit Stil. Er lieferte uns quasi ›Faust‹, der Tragödie Nachspiel.
›Aqua Tofana‹ ist das klassische Gift der frühen Neuzeit, sehr beliebt vor allem bei Mörderinnen. Lästige Ehegatten, untreue Liebhaber, auch unliebsame Thronerben fielen dem Teufelszeug zum Opfer. Es besteht aus einer Mischung aus Arsen, Antimon, Bleioxyd und Belladonna, ist geruchlos, farblos, geschmacklos und wirkt zeitverzögert, je nachdem, wie viel man dem Opfer verabreicht. Bereits wenige Tropfen haben eine tödliche Wirkung. Die junge Frau hatte keine Chance zu überleben. Teuflisch, teuflisch! Und – wie gesagt – passend zum Szenario. Erhältlich ist das Gift nirgendwo, so viel ich weiß. Das Originalrezept ist nicht mal mehr bekannt. Aber wer das Zeug für diesen Mord zusammenbraute, kannte sich bestens mit Gift aus. Vielleicht war's ein Buschdoktor aus Übersee oder ein Einbalsamierer oder eine übrig gebliebene Hexe.«
»Lass es gut sein mit der Belletristik«, wehrte Rust grienend ab. »Dieses Rätsel zu lösen ist unsere undankbare Aufgabe. Kannst du uns nicht wenigstens einen Tipp geben, wann die Burger das Gift geschluckt haben könnte? Sie hat ja danach offensichtlich noch eine ganze Weile Theater gespielt.«
Hippe hob bedauernd beide Hände. »Da verlangst du zu viel. Wenn ich mich nicht zufällig damit beschäftigt hätte ... das Zeug ist eine Legende. Nie genau erforscht! Aber ich denke, dem Täter ging es nur darum, die Frau irgendwann irgendwo sterben zu lassen, gewissermaßen ›rein zufällig‹. Dass sie's bis zum Ende des Theaterstückes schaffte, ist vielleicht ihrer Disziplin zu verdanken. Die andere Variante wäre ebenfalls denkbar – sie starb zu früh, weil das Herz zu schwach war.«
Rust schaute auf die Uhr – bereits nach zehn. Petermann verstand den Blick: Es wurde Zeit für die Befragung im Theater. Das ›Aqua Tofana‹ lief ihnen nicht davon.
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