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DAS ERBE DES CASPARIUS  - DIE TEUFELSBESCHWÖRUNG

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Caspar saß inzwischen in seiner Kammer und studierte die Beschwörungsanleitung. Des Doktors Warnungen hatten ihre Wirkung nicht völlig verfehlt. Die erste Begeisterung über den unverhofften Fund war der Besorgnis gewichen, den teuflischen Mächten nicht gewachsen zu sein. Eher zufällig bemerkte er, dass auf der anderen Seite des Blattes gleichfalls etwas geschrieben stand – weniger blumig und in weniger abenteuerlich anmutender Rechtschreibung. Als er auch das entziffert und gedeutet hatte, überkam ihn eine große Sicherheit.

Die Großmutter rief zum Abendessen. Caspar behauptete, keinen Hunger, dafür aber Kopfschmerzen zu haben und kroch rasch unter die Bettdecke. Die Großmutter äugte durch den Türspalt, sah nur noch den Haarschopf des Enkels und machte sich nun doch Sorgen. Vielleicht hatten ihn die herunterfallenden Bretter ärger erwischt als angenommen. Schlafen war wohl das Beste, was er tun konnte.

Caspar dachte nicht ans Schlafen. Er wartete, bis die alte Frau zu Bett gegangen war, schlich leise, leise die Treppe hinunter und aus dem Haus. Die Taschenuhr des Vaters tickte vernehmlich in seiner Jacke. Mit ihrer Hilfe würde er die Mitternachtsstunde nicht verpassen.

Der Mond hing wie ein gelber Eierkuchen am Himmel.

Nachts im Wald – das  war ein völlig anderes Gefühl als bei Tageslicht. Caspar hätte gegen eine Begleitung nichts einzuwenden gehabt. Was für ein seltsamer Mitläufer bewegte sich dort entlang der Büsche? Er blieb stehen und auch der Dunkelmann erstarrte.

Da tippte er sich ärgerlich an die Stirn – er ließ sich von seinem eigenen Schatten ins Bockshorn jagen!

Trotz allem fühlte Caspar sich erst in der Nähe der Höhle wirklich sicher. Dort griff er sich den alten Tontopf und wählte ein paar Knochen aus. Gemäß der Anweisung zog er einen großen Kreis um das Gefäß. Dann ging er nochmals gewissenhaft alle Punkte auf der Rückseite des Blattes durch.

Endlich standen die Zeiger der Taschenuhr auf Mitternacht. Der Vollmond blinzelte auf die Knochen und Caspar schritt rückwärts um den Topf herum. „sanataS, sanataS, sanataS”, sagte er halblaut und hielt lauschend inne. Es raschelte im Gebüsch, sonst geschah nichts. „sanataS, sanataS, sanataS!“, rief Caspar lauter. Ein dürres Ästchen brach, weil er darauf getreten war, im Übrigen herrschte Grabesstille. Caspar erfasste Ungeduld, er wollte hier nicht wie eine Art Rumpelstilzchen um den Topf tanzen. „sanataS, sanataS, sanataS!“, schrie er. „Erscheine endlich!“

Vielleicht wäre er vorsichtiger gewesen, wenn er die Beschwörung nicht als eine Art Abenteuer betrachtet hätte. Bereits seit der ersten vorsichtigen Nennung seines Namens lauerte der Teufel nämlich in der Höhle. Jetzt brach er mit einem Riesensatz und Schwefelgestank aus dem Eingang hervor.

Entsetzt fuhr Caspar herum. Vor ihm baute sich ein gehörntes, pferdefüßiges, haariges Ungeheuer auf, dessen langer Schweif den Boden peitschte. Seine hässliche Fratze hätte man menschlich nennen können, wenn nicht die stechenden gelben Augen, die vorspringende Schnauze und die großen Reißzähne gewesen wären.

Caspar schluckte sein Entsetzen hinunter und schimpfte lauthals: „Was ist das für ’ne Art, die Leute von hinten anzuspringen!“

„Du willst mit mir streiten?“, knurrte der Gehörnte. „Sei froh, dass ich dir nicht sofort den Hals umgedreht habe.“

Aus dem Rachen des Teufels schlug Caspar übler Gestank entgegen. Gern wäre er einen Schritt zurückgetreten, doch eine innere Stimme warnte ihn, das Ungeheuer werde ihm dies als Furcht auslegen. Daher höhnte Caspar so unbekümmert wie möglich: „Meinen Hals musst du dir verdienen. Auf mich machst du jedenfalls weder mit deinem Anblick noch mit deinen Drohungen Eindruck.“

Was das Aussehen betraf, so sagte Caspar ganz und gar nicht die Wahrheit. Der Anblick des Teufels jagte ihm kalte Schauer über den Rücken und das Zittern seiner Hände verriet, dass er auch gegen die Drohungen nicht unempfänglich war. Dennoch, er hatte schließlich den Urahn und dessen Wissen auf seiner Seite. Caspar atmete tief durch und das Zittern ließ nach.

Der Teufel versuchte, den Burschen vor sich durch den starren Blick seiner gelben Augen zu bannen. Die erwartete Wirkung blieb aus. Dieser unscheinbare Mensch schien keine Furcht zu kennen. Also änderte er sein Vorgehen. „Was willst du?“, knurrte er missmutig.

Caspar spürte, dass er Oberwasser bekam. „Ich benötige deine Dienste.“

„Ich diene nicht!“, grollte der Teufel.

„Oh doch! “ Caspar leistete sich die Andeutung eines Grinsens. „Ich rief dich und du bist gekommen.“

Dem Teufel begannen die Hörner zu glühen, aber er beherrschte sich. Was wollte dieser mickrige Bursche eigentlich von ihm und woher wusste er, dass er dem Ruf hatte Folge leisten müssen?

„Erinnerst du dich an Casparius, meinen Urahn?“ Es konnte nicht schaden, ein wenig mit dem Vorfahr zu prahlen, auch schien Caspar, es stehe seit Nennung des Namens einer hinter ihm, auf den er bei Gefahr zählen durfte.

Der Gehörnte allerdings verzog seine Fratze, als habe ihm jemand auf den Schwanz getreten. Tatsächlich ging ihm plötzlich ein zweites Höllenfeuer auf. Dass er darauf nicht gekommen war! Er hatte es mit einem Nachkommen des Alten zu tun, der ihn so übel hinters Licht geführt hatte. Drohend trat er einen Schritt auf Caspar zu, aber der wich nicht zurück, obgleich sein Herz wie ein Schmiedehammer klopfte. „Mir scheint, du warst nicht sehr begeistert von der Bekanntschaft“, stichelte er tapfer. „Ehrlich gesagt, du gefällst mir auch nicht. Machen wir’s kurz – erfülle mir drei Wünsche.“

Das Glühen in den Hörnern schwand, der Teufel knurrte wohlig. Es hörte sich an wie das Schnurren einer riesigen Katze. Es lief doch immer auf das Gleiche hinaus: Die Menschlichen wollten etwas von ihm und so bekam er sie letztendlich alle zwischen die Krallen.

„Drei Wünsche“, säuselte er so sanft wie möglich, „natürlich zum handelsüblichen Preis: Ich drehe dir anschließend den Hals um. Fang an!“ Getreu dem Wortlaut auf der Rückseite des Blattes befahl Caspar: „Grabe aus, was in der Höhle verborgen ist.“

„Warum sollte ich graben, wo nichts ist“, wand sich der Gehörnte. Sein Schweif zuckte unruhig, seine stechenden Augen verloren an Schärfe. Er wusste nur zu gut, tief in der Erde lag seit zweihundert Menschenjahren ein roter Edelstein, durch einen magischen Spruch geschützt, jeder teuflischen Macht entzogen. Und er war, wie alle Geister, der Dreizahl verpflichtet und würde ums Graben nicht herumkommen. Zähneknirschend hinkte er in die Höhle. Dort machte er sich an die Arbeit. Kein Teufelszauber nahm ihm diese Plackerei ab, er musste sich mit der Schaufel abmühen wie ein Menschlicher.

Caspars Grube verbreiterte sich in ungeahntem Maß. Nach geraumer Zeit förderte der Teufel einen Lederbeutel zutage. Er hielt zum ersten Mal in den Klauen, was er seit vielen Jahrhunderten sehnlichst zu besitzen wünschte – den magischen roten Stein. Krampfhaft umklammerte er das modrige Leder. Dieser Stein war ihm schon mehr als einmal entgangen, zuletzt durch eine List des alten Casparius. Diesmal hatte er nur dessen uneingeweihten Nachkommen vor sich. Oh nein, der Bursche wusste nicht, was er in den Händen halten würde, der war nur auf Schatzsuche aus. Der alte Magier hatte sein Wissen um die Macht des Steines für sich behalten und lediglich eine gefährliche Beschwörungsformel überliefert. Die Menschlichen waren letztendlich dumm! Nur zwei alberne Wünsche eines jungen Burschen trennten ihn, den Herrscher der Hölle, noch vom ’Stein der Roten Magie’. Der Teufel hinkte aus der Höhle und warf Caspar den Beutel zu. Der  brauchte eine Weile, ehe er die brüchige lederne Schnur entknotet hatte. Staunend betrachtete er den roten Edelstein auf seiner Hand. Fast vergaß er den Gehörnten. Da schickte der Mond sein mildes Licht auf das Kleinod hinunter. Gleißende Helligkeit zuckte für einen Moment auf und fuhr dem Teufel wie ein Blitz in die gelben Augen. Geblendet hielt er sich die Klauen vor das fratzenhafte Gesicht. „Wunsch Nummer zwei!“, schnaubte er wütend.

Caspar ließ den Rubin in den Beutel gleiten und befahl: „Schütte den Krater zu und spuck aufs Erdreich.“

„Das sind zwei Wünsche.“

„Es ist  nur einer und das weißt du“, widersprach Caspar und diesmal grinste er ganz offen. Seit er den Stein berührt hatte, sagte ihm jene innere Stimme, es gäbe nichts, was ihm jetzt noch gefährlich werden könne.

Dem Teufel blieb nichts weiter übrig, er musste in die Höhle zurück. Dort schaufelte und spuckte und schaufelte und spuckte er. Die weiche Erde verwandelte sich in harten Felsen. Nie wieder würde hier eine Grabung möglich sein.

Caspar wartete indessen draußen, wiederum in den Anblick des Kleinods versunken. Als der Gehörnte im Eingang auftauchte, schob er das Beutelchen in die Hosentasche. Nun würde das geschwänzte Ungeheuer gleich erfahren, wer hier der Stärkere war.

„Wunsch Nummer drei“, knurrte der Teufel böse, während er sich die Erdklumpen aus dem Schweif polkte.

Zum ersten Mal in seinem Leben war Caspar stolz darauf, den Namen seines Urahns zu tragen. Der alte Magier hatte auf der Rückseite des losen Blattes nicht nur vermerkt, dass ein Rubin in der Höhle vergraben lag und wie er ans Licht des Mondes zu bringen sei, er hatte auch besondere Anweisungen für den letzten der drei Wünsche gegeben. Caspar fühlte sich daher dem Teufel unendlich überlegen. Gelassen trat er ins Innere des Kreises, den er zur Beschwörung gezogen hatte. Im Schutz des magischen Zeichens rief er laut: „Wage es niemals, mich zu berühren!“

Der Teufel zischte wie eine Schlange, riss den Rachen auf, brüllte wie ein Löwe und streckte die Klauen nach Caspar aus, doch sie trafen auf eine unsichtbare Wand. So oft er den Versuch auch wiederholte, er war nicht in der Lage, den Bann zu durchbrechen. Schließlich schoss er in die Höhle hinein. Caspar vernahm lautes Krachen, gefolgt von noch lauterem Brüllen. Mit abgeknickten Hörnern fuhr der Teufel aus der Höhle wieder heraus. Er hatte vergessen, dass der kürzeste Weg in die Hölle nicht mehr existierte. Hastig flüchtete er sich in die Unsichtbarkeit und schlich in deren Schutz zu einem anderen Höllenschacht, verfolgt von Caspars Gelächter. Gern hätte er sich die riesigen Ohren zugehalten, aber er brauchte seine Klauen, um die angebrochenen Hörner zu stützen.

Caspar saß noch lange mit angezogenen Knien neben dem Tontopf. Er war völlig erschöpft und nicht in der Lage, das Zittern zu unterdrücken, das ihn befallen hatte, sobald der Teufel weg war.

Das Bild von der Welt, wie er sie bisher wahrgenommen hatte, existierte nicht mehr. Am Vorhandensein geheimnisvoller böser Kräfte hatte er zwar nie Zweifel gehabt, aber es war eine Sache, dies zu glauben und eine andere, mit diesen Kräften in Berührung zu kommen. Nur zu gut verstand er jetzt die Warnungen des Doktors.

Es kostete ihn große Überwindung aufzustehen. Bevor er den schützenden Kreis verließ, zog er den modrigen Lederbeutel erneut hervor und blickte hinein. Obwohl das Mondlicht nicht direkt auf den Stein fiel, ging deutlich ein Leuchten von ihm aus. Ruhe überkam Caspar und das Zittern fiel von ihm ab. Was mochte das für ein seltsamer Edelstein sein, über dessen Wert so gar nichts auf dem Blatt stand? Schon seine Größe ließ ahnen, dass Kenner für ihn einen hohen Preis zahlen würden. Wie ein Blitzstrahl traf Caspar die Erkenntnis, dass er – buchstäblich über Nacht – reich geworden war. Benommen von diesem Gefühl verstaute er den Beutel wieder, griff nach dem Tontopf und trug ihn in die Höhle. Entsetzlicher Schwefelgestank schlug ihm entgegen und nahm ihm den Atem. In der Dunkelheit stolperte er über den alten Kehrbesen an der Felswand. Der Topf fiel zu Boden und zerbrach. Das Scheppern klang unheimlich. Caspar floh ins Mondlicht zurück und machte sich auf den Heimweg.

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