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DIE MÄRCHENWEBERIN -  TRIPPEL UND KRABBEL

Das Rumpelmännchen Trippel wohnte in einer Puppenstube auf dem Dachboden. Es kochte Staubsuppe und brutzelte Fliegeneier, denn das essen Rumpelmännchen.

Eines Morgens entdeckte der Kleine in der Küche ein Spinnennetz. Ärgerlich zerfetzte er es mit dem Messer. Dann stellte er fest, dass sein Vorrat an Fliegeneiern verschwunden war. Wer hatte ihm die denn weggefuttert?

„Warum machst du mein Netz kaputt?“, jammerte plötzlich eine dünne Stimme hinter dem Schrank.

„Weil das meine Küche ist“, knurrte Trippel. „Komm sofort hinter dem Schrank hervor, wer du auch bist!“

„Leg erst das Messer weg“, bat die Stimme.

Trippel ließ das Messer fallen und wartete …

Da kroch hinter dem Schrank eine ziemlich dürre Spinne hervor. Sie starrte Trippel aus funkelnden Augen misstrauisch an. Trippel glotzte böse zurück. „Du bist hässlich“, stellte er fest. „Du hast zu viele Beine und bist behaart.“

„Sieh dich an!“, giftete die Spinne. „Oben zwei Beine, unten zwei Beine und am Körper kein einziges Haar! Igitt!“

„Das hier oben sind Arme!“ fauchte Trippel. „Und mit den Beinen da unten laufe ich.“ Er stolperte ein paar Mal hin und her.

„Ich laufe auch!“ Die Spinne kicherte. „Viel schneller als du; außerdem an der Wand hinauf und kopfunter an der Decke entlang. Kannst du das vielleicht?“

Trippel schwieg verdrossen. Natürlich konnte er nur auf dem Boden laufen und ein bisschen springen – ein ganz kleines bisschen!

Missvergnügt starrte er seine ungebetene Besucherin an, die sacht an ihrem Faden hin und her schaukelte.

„An einem Seil hängen ist verdächtig!“ behauptete er. „Diebe machen das, wenn sie vom Dach durch ein Fenster einbrechen wollen. Du bist eine Diebin.

Du hast mir mein Frühstück geklaut!“

Die Spinne zog verlegen die Beine unter sich. „Entschuldige!“, sagte sie. „Ich hatte großen Hunger. Außerdem wusste ich nicht, dass in der Puppenstube jemand wohnt. Die Eier lagen hier so ’rum.“ Sie lenkte schnell von dem peinlichen Vorfall ab und fragte: „Warum soll ich nicht in der Luft hängen, wenn es mir Spaß macht?“

Darauf wusste Trippel keine Antwort. „Denk, was du willst“, sagte er deshalb patzig. „Ich gehe jetzt auf Fliegeneier-Jagd.“

Als er zurückkam, hing die Spinne über dem Küchentisch.

Trippel tat, als sähe er sie nicht, röstete die Eier und setzte sich zum Essen. Nach dem zweiten Ei schielte er vorsichtig in die Höhe – die Augen der dürren Spinne funkelten hungrig. Trippel kaute langsam weiter, aber es schmeckte ihm nicht mehr.

„Schläfst du?“ fragte er.

„Nein! Ich sehe dir zu“, antwortete die Spinne und ließ sich ein Stück an ihrem Faden herunter.

Trippel schob zögernd ein Ei in die Tischmitte. „Das ist für dich“, murmelte er. Wie ein Stein fiel die Spinne auf den Tisch herab, umschlang das Ei mit allen Beinen und begann gierig zu saugen.

„Wie heißt du?“, fragte Trippel und schob ihr ein zweites Ei zu.

„Krabbel!“, nuschelte die Spinne mit mahlenden Kiefern.

„Ich heiße Trippel“, sagte Trippel. „Hab’ ich mir selber ausgedacht.“

„Geht mir auch so mit Krabbel“, gestand Krabbel, stieg ein wenig am Faden empor und baumelte satt und zufrieden nach links – nach rechts, nach links –  nach rechts …

Trippel sah ihr zu. Sein Kopf bewegte sich von links – nach rechts, von links – nach rechts …

„Willst du auch mal baumeln?“ Krabbel kicherte. „Ich hab’ da eine Idee!“

Sie wartete Trippels Antwort nicht ab. Eifrig schwang sie sich kreuz und quer durch die Küche. Aus ihrem Hinterleib quoll unermüdlich ein Faden …

Allmählich entstand daraus ein Netz. „Das ist eine Spinnenschaukel – besonders fest“, erklärte Krabbel, als der letzte Faden verwebt war. „Steig auf den Tisch!“

Und obwohl es für ein Rumpelmännchen sicher ungehörig und verdächtig war, wie eine Spinne zu baumeln, tat Trippel, was Krabbel verlangte: Er kroch auf den Tisch und plumpste schwerfällig in die Schaukel hinein. Es knisterte bedrohlich!

Ehe Trippel es sich anders überlegen konnte, gab Krabbel der Schaukel einen Schubs und schon schwebte sie von Küchenwand zu Küchenwand.

In Trippels Bauch schossen die gerösteten Fliegeneier durcheinander, aber er fand das Baumeln … wunderbar.

Krabbel schwang sich neben ihm an langem Faden hin und her und passte auf, dass das Rumpelmännchen nicht aus der Schaukel fiel.

Trippel vergaß, die abendliche Staubsuppe zu kochen und stieg nur aus, weil die Fliegeneier bestrebt waren, seinen Magen durch den Mund zu verlassen.

Krabbel ließ die Schaukel an einem Faden auf den Tisch gleiten.

Das Rumpelmännchen schwankte umher, als habe es Mückenbier getrunken und sobald es ‚Staubsuppe’ dachte, wurde ihm übel wie von den Fliegeneiern.

„Das wird schon wieder“, tröstete die Spinne und rieb sich schadenfroh sämtliche Beine.

Sie aßen gemeinsam zu Abend – nun ja – Krabbel verdrückte die letzten Eier vom Mittagbrot und Trippel schaute zu. Danach kroch die Spinne hinter den Puppenschrank und Trippel wankte mit immer noch weichen Knien ins Puppenbett.

Am nächsten Tag baumelten sie wiederum gemeinsam von einer Wand zur anderen. Und wenn die Schaukel nicht gerissen ist, dann baumelt Trippel noch immer, denn Rumpelmännchen werden uralt.

Ob Krabbel auch von der besonderen Art war, die uralt wird, weiß ich allerdings nicht zu sagen.

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